Fossiler Muschelkalk (5): die Terebratel

Fossiler Pop - fünf bemalte Terebrateln auf einer Muschelkalkplatte. - Fundort: Sommerhälde in Kämpfelbach-Ersingen, Wanderweg in Richtung Ispringen.

Fossiler Pop - zwei Terebrateln, bemalt und verfremdet.

 

In diesem Kapitel, liebe Leserinnen und Leser, werden Sie durch eine kleine Plauderei zur mitternächtlichen Stunde über die Terebratel informiert. Der Schwerspat Bürobarüt, den Sie vielleicht aus der Abteilung "Märchen" kennen, erzählt Ihnen, wie er sich vor ein paar Mitternächten mit einer Terebratel im Museum unterhalten hat:

Hallo, wenn Sie mich noch nicht kennen sollten. Ich bin ein Schwerspat namens Bürobarüt und wage mich aus dem Mineralienmärchen, um Ihnen etwas vom letzten Dienstag zu erzählen. Ja, letzte Woche war das! Am Dienstag! Punkt Mitternacht schwebte ich mal rüber zum großen Goldschmiedetisch, den Sie oben im Bild sehen. Am Tag vorher hatte hier eine Fossilienbörse stattgefunden. Hammerjäger hatten ihre Fossilien mitgebracht und sie für Kauf, Verkauf und Tausch auf dem großen Tisch ausgebreitet. Jetzt wollte ich sehen, ob es noch etwas zu sehen gab. Und tatsächlich! Als ich über den Tisch schwebte, lag da noch was: mitten auf dem Tisch. Etwas Rundes mit einem Loch. Das Etwas wurde gerade wach und schaute sich halb verwirrt, halb verärgert um:

Und schon hörte ich es frustriert rummaulen:        Hääh? Was soll denn das? Ich glaub, ich spinn!

Sagt mir mal einer, wo ich hier bin?

Und wo ist meine Kappe?

Es zieht durch meine Klappe!

 

Eine Kappe, eine Mütze, lag direkt neben ihr. Die Kappe setzte sie schnell auf. Das Loch war jetzt nicht mehr zu sehen. Offensichtlich hatte es da einen unangenehmen Luftzug ins Innere gegeben. Die Kappe stoppte das.

Aber die kleine Fossilin murmelte und maulte weiter vor sich hin, bis sie mich plötzlich entdeckte. In Sekundenschnelle verwandelte sich ihr Gesichtsaus-druck. Ein Lächeln spielte um ihren Mund. Sie schaute mich erwartungsvoll und freundlich an. Dann sagte sie:

He, Wuschelkopf! Kannst du mir sagen, wo ich hier bin?

 

Wuschelkopf!! Ich dachte, ich höre nicht recht. Ziemlich keck, die Kleine! Aber ich nahm es ihr nicht übel. Sie sah doch ganz nett aus. Also antwortete ich:

Du bist hier im Mineralienmuseum. Es ist kurz nach Mitternacht. Guten Morgen! So wie ich die Sache sehe, hat man dich gestern bei der Fossilienbörse übersehen und liegen lassen. Übrigens, mein Name ist Bürobarüt. Und du, wie heißt du?

Bratel, ich heiße Bratel. Das ist die Kurzform von Terebratel. Wenn du es noch genauer wissen willst, dann verrate ich dir auch meine lateinischen und griechischen Namen. Ich heiße auch Terebratula vulgaris und, na ja, du wirst das gleich wieder vergessen, auch Coenothyris vulgaris.

In der Tat, dachte ich, das kann sich ja kein Mineral merken. Und laut sagte ich: Coole Namen! Ich bin beeindruckt. Und gleichzeitig ging mir so durch den Sinn, dass das "vulgaris" nach "vulgär-ordinär" klingt....

 

Als hätte sie meine Gedanken erraten, belehrte sie mich: "Vulgaris" hat natürlich nichts mit "vulgär" zu tun. Es bedeutet schlicht und einfach, dass ich nichts Außergewöhnliches bin. Meine Art kann häufig gefunden werden.

Links Ackerstein aus einer Terebratelbank, rechts abgeschmirgelt und bemalt mit Acryl.

Und wo hat man dich gefunden?

 

Auf einem Acker in Wurmberg.

 

Wurmberg? Wo liegt denn das?

 

Im Heckengäu, in der Nähe der Autobahnauffahrt Pforzheim-Süd.

 

Und im Hackengäu gibt es euch häufig?

 

Heckengäu! Das Heckengäu ist eine Muschelkalklandschaft. Im Muschelkalk sind wir häufig, vor allem auch in der Trochitenkalk-Formation im Oberen Muschelkalk, habe ich meinen Hammerjäger sagen hören.

 

Ich bin beeindruckt, Bratel! Ich verstehe zwar kein Wort, aber es klingt alles so interessant. Und du lagst in Sturmberg da einfach so auf dem Acker rum?

 

Wurmberg! Stimmt, Wuschel, als ein schön geformter Ackerstein! Perfekt aus dem Kalkstein herausgewittert. Eine der hübscheren Terebrateln! Und wenn du´s nicht glaubst, muss ich dich tadeln!

 

Doch, doch, wenn man dich so sieht, glaubt man dir alles!

Bratel sagte eine Weile nichts. Plötzlich weiteten sich ihe Augen, und sie lachte kurz auf: Ha, jetzt fällt mir alles wieder ein! Die Fossilienbörse! Ja, genau! Das hier ist der Raum, ja, und hier auf den Tisch hat mich mein Hammerjäger gelegt. Ich sollte verkauft werden. Klar, dass ich mich nicht gleich zurechtgefunden habe. Gestern war alles hell erleuchtet, aber jetzt, hier, um Mitternacht, ist alles so düster. Was mache ich jetzt?

 

Am besten gar nichts, würde ich mal sagen. Morgen früh wird dich die Museumsaufsicht entdecken. Dein Hammerjäger wird sich sicher melden. Auf so was Hübsches wie dich wird er nicht verzichten wollen.

 

Danke, nett von dir.

 

Sag´ doch mal, ist es leicht, euch auf einem Acker wie in Wurmberg zu finden?

 

Na ja, meistens sind wird im Gestein, im Kalkstein, ziemlich unauffällig eingebettet. Wir verraten uns aber durch unsere glatte und runde Form im rauen Stein. Die Hammerjäger haben einen Blick dafür! Außerdem war ich damals im Meer nicht allein an meinem Standort. Also war ich auf dem Acker auch nicht allein.

Kalksteine, Ackersteine mit Terebrateln. Die Terebrateln sind mit weißer Nivea eingefettet. Das macht sie schwarz und so besser sichtbar. Ein Teil der Terebrateln stammt aus Wurmberg.
Ackersteine, Terebrateln, aber auch zwei Muscheln aus diesem Muschelkalk in Wurmberg.
Fundort: Mönsheim, Waldweg am Sendermast, Trochitenkalk-Formation. Bei vier Terebrateln ist das Stielloch zu sehen.

Du warst also mal ein Meerestier. So wie ein Fisch? Konntest du schnell schwimmen. Ich kann ja leider nicht schwimmen.

 

Geschwommen bin ich nur die ersten paar Stunden meines Lebens, als Larve, frisch aus dem Ei geschlüpft. Dabei ist schwimmen eigentlich übertrieben. Eine leichte Meeresströmung hat mich zu einem hübschen Plätzchen befördert. Da bin ich mit einem Stiel am Meeresboden festgewachsen. Vielleicht war es auch ein Riff. So genau kann ich mich nach 230 Mio. Jahren nicht mehr erinnern.

Skizze einer lebenden Terebratel des Muschelkalkmeeres. Mit dem Stiel festgewachsen auf einem Riff, am Meeresboden... Der fleischige Stiel war beweglich. Er versteinerte nicht. Das Stielloch in der größeren Klappe zeugt von ihm.

Und was macht man als festsitzendes Meerestier so den ganzen Tag?

 

Auf Beutefang gehen! Sich den Bauch vollschlagen oder auch mal hungern!

 

Auf Beutefang gehen?

 

Zu Lebzeiten hatte ich einen weichen Körper, der von meinem zweiklappigen Gehäuse umgeben und geschützt wurde. Mit Muskeln konnte ich die beiden Klappen leicht öffnen. Die kleinere Klappe hatte innen einen doppelt ausgebildeten Fangapparat, mit dem ich auch atmete, so Art Kiemen. Der Fangapparat war mit klebrigen Wimpern besetzt. Öffnete ich die Klappen, strömte Meerwasser an den Fangorganen vorbei. Winzige Einzeller, Muscheleier oder auch Teilchen von verwesenden Tieren blieben an den Wimpern hängen. Das war meine Beute! Und Aas war meine Lieblingsspeise.

 

Meine eher nicht, dachte ich und wechselte das Thema: Du hast ja zwei Klappen. Ein Fisch bist du nicht. Aber bist du dann eine Muschel?

Wuschel! Wuschel! Ich bin doch keine Muschel. Da kannst du gleich zu einem Walfisch sagen, das sei ein Hirsch!

 

Na ja, ich habe schließlich als Mineral keine Ahnung von Meerestieren!

 

Klar! Pass auf, ich erklär´s dir: Die Muschel gehört wie die Schnecke oder der Ceratit als Kopffüßer zum Tierstamm der Weichtiere. Wir Terebrateln dagegen gehören zum Tierstamm der Brachiopoden oder Armfüßer. Zwar sehen sich Terebratel und Muschel ähnlich, aber wir sind nicht miteinander verwandt. Auch wenn wir beide unseren Körper mit einer zweiklappigen Schale schützen, ist mit "harte Schale, weicher Kern" alles Gemeinsame und Verbindende gesagt. Mehr ist nicht! Ich bin wirklich und ehrlich keine Muschel!

Es ist gar nicht so selten, dass man einen Muschelkalkbrocken entdeckt, auf dem mehrere Terebrateln zu sehen sind. In einzelnen Muschelkalkschichten treten sie so gehäuft auf, dass man von einer Terebratelbank spricht. Es gibt dann in einer Schicht so viele Terebrateln, dass sie gesteinsbildend sind.  Diese Bänke helfen mit, die Schichten des Muschelkalks zu ordnen. So gibt es bei den Schichtbezeichnungen eine "Obere Terebratelbank"  und eine "Untere Terebratelbank", eine "Hauptterebratelbank", ein "Region der Terebratelbänke" oder die "Bank der kleinen Terebrateln".-

Im obigen Bild ist an jedem weißen Punkt eine Terebratel im Muschelkalkstück eingebettet. So viele würde man auf den esten Blick nicht vermuten.

 

Brachio+pode - ein Arm+Füßer - das verstehe ich. Wer etwas mit "Brachialgewalt" erledigt, tut es mit der Gewalt des Armes, während der Fuß in Wörtern wie "Podest" oder "Pedal" steckt. Aber lustig ist es trotzdem, der Brachiopode und die Terebratel! Du bist also, könnte man sagen, ein Er und ein Sie, ein Junge und ein Mädchen gleichzeitig?

 

Wuschel, hör´auf mit dem Quatsch!

 

Was heißt eigentlich "Terebratel"? Kann man das übersetzen?

 

Terebratel heißt "die Durchbohrte", wegen meines Stiellochs..., das kannst du dir ja denken. In alten Büchern werden wir Terebrateln auch mit Lampenmuschel oder mit Lochmuschel bezeichnet.

Lampenmuschel, kann ich mir vorstellen, wie so eine Öllampe bei den ollen Römern und Griechen. Trotzdem - Lampenmuschel, Lochmuschel, du bist also doch irgendwie eine Muschel!

Da lachte Bratel laut auf und rief:

Nein! Nein! Nein! Mein lieber Wuschel, nie und nimmer eine Muschel! Das muss jetzt endlich hinter deine Brille in deinen Schwerspatkopf! Ha, ha, ha!

 

Ich glaube, ich schaute sie etwas verdutzt an, als sie so lachte. Lachte sie mich aus? Aber da war es genau 1 Uhr. Ich musste zurück in meine Vitrine. Bratel blieb auf dem Tisch zurück. 24 Stunden später schwebte ich, so schnell ich konnte, wieder zum Tisch. Aber Bratel war verschwunden. Ich habe sie nie wieder gesehen.

Wohlgeordnet liegen fünf Terebrateln da. Sie sind leicht zu erkennen. Vier zeigen ihr Stielloch in der Stielklappe, und sie zeigen ihre Armklappe. Bei der zweiten Terebratel von links ist weder das Stielloch noch die kleinere Armklappe zu sehen, dafür der Rücken der größeren Stielklappe.

Wohlgeordnet liegen sieben Terebrateln da. Sie sind nicht so leicht zu erkennen, obwohl ein Tintenstift die Umrisse nachzeichnete. Alle sind noch im Muschelkalkstein, im Ackerstein eingebettet. Keine zeigt ihr Stielloch.