Fossiler Muschelkalk (1): eine Seelilie

Fossiler Pop - ein echtes Stück Muschelkalk mit echten Trochiten, mit Stielgliedern einer Seelilie, bemalt und verfremdet!

Diese runden Gebilde sind versteinerte Stielglieder einer Seelilie. Mit dem Loch in der Mitte und den Einkerbungen zum Rand hin, liegt der Gedanke an eine zeigerlose Uhr nahe. Der Volkmund nennt sie "Steinührle". Die Wissenschaft dachte bei der Namensgebung weniger an ein Ührchen, sondern mehr an ein Rädchen, übersetzte ins Griechische und nannte die Gebilde "Trochiten" (trochos - Rad, runde Scheibe).

 

Im Raum Pforzheim-Enzkreis sind Trochiten die versteinerten, radähnlichen Stielglieder der aus-gestorbenen Seelilie "Encrinus liliiformis", die massenhaft im Muschelkalkmeer lebte.

Die Seelilie ist ein fleischfressendes Meerestier.  "Encrinus liliiformis" bevölkerte in großen Kolonien den Boden des Muschelkalkmeeres in einer Tiefe von 10-20 m. Das war vor rund 230 Mio. Jahren im Erdmittelalter.

 

Die Seelilie des Muschelkalkmeeres saß als Tier mit einer Haftscheibe fest am Meeresboden. Die Haftscheibe trug einen langen Stiel, der in einem schüsselähnlichen Kelch endete. Der Kelch um-schloss den Weichkörper des Tieres. Aus dem Kelch wuchsen Fangarme, die mit feinsten Fiederchen versehen waren. Mit den Fiederchen ging die Seelilie auf fleischlichen Beutefang. Die Meeresströmung servierte dem Tier ununter-brochen eine Mahlzeit aus winzigem Meeres-plankton, beispielsweise feinste Fischteile (Aas) oder Muscheleier. Das Plankton blieb in den kammartig angeordneten Fiederchen hängen und wurde über die Arme in Richtung Kelch und Mundöffnung transportiert. Ein Geschmacksorgan registrierte, was da ankam. Darm und Drüsen sorgten im Innern für die Verdauung. Über einen  After wurde der Rest wieder ausgeschieden. Das Tier konnte schmecken und fühlen. Ohren und Augen brauchte es nicht. Die Vermehrung geschah höchstwahrscheinlich über Eier, die zu frei beweglichen Larven wurden. Sie ließen sich im Wasserstrom zu einem Platz treiben, an dem sie hängen blieben, sich verendend in eine winzige Haftschale verwandelten und festwuchsen.

Verendete die Seelilie, zerfiel ihr kalkiges Skelett in viele Einzelteile. Insbesondere die Stielglieder überdauerten versteinert die Jahrmillionen. "Encrinus liliiformis" = "die wie eine Lilie geformte Lilie" kommt im unteren Oberen Muschelkalk in Massen vor. Den Kalkstein nennt man deshalb passenderweise Trochitenkalk, das ganze Gesteinspaket Trochitenkalk-Formation. Man kann die Trochiten lose finden, oft von gelblicher Farbe. Bürste und Wasser machen dann aus dem Gelb ein Grau. Meistens aber stecken sie noch im Kalkstein drin.

Stielglieder der ausgestorbenen Seelilie "Encrinus liliiformis". Die Seelilie ist keine Pflanze. Das wird auch dadurch deutlich, dass keine Blätter vorhanden sind.

Die versteinerten Reste der Seelilie "Encrinus liliiformis" liegen im unteren Oberen Muschelkalk = im unteren Hauptmuschelkalk, der deshalb mit Trochitenkalk-Formation bezeichnet wird.

In den Schichten der Trochitenkalk-Formation treten die Trochiten gehäuft in Bänken auf, die zwischen fast fossilfreien dichten Kalksteinschich-ten liegen. Diese Trochitenbänke enthalten neben den Seelilienresten auch ganze Muscheln, Armfüßer und zahlreiche Muschelschalentrümmer.

Muschelschalentrümmer werden mit Schill bezeichnet, das löchrige Gestein mit Schillkalk. Diese Schillkalkbank aus der Trochitenkalk-Formation von der Pforzheimer Westtangente enthält Reste von Seelilien, Muscheln und Armfüßern. Unter und über der Schillkalkbank liegt ein dichter, in der Sonne hellgrau gewordener Kalkstein mit Schrumpfungsrissen. Brauneisenerz färbt den Schill gelblich ein.

Ein Seelilien-Stielglied zeigt sich auf zwei Arten im Muschelkalk:    

a. Es ist dreidimensional der fossile Trochit, das Rädchen mit dem Zentralkanalloch und den randlichen Einkerbungen. Es ist das "Steinührle" auf der Steinoberfläche.

b. Es ist zweidimensional die Spiegelfläche eines Calcit-Einkristalls im Innern des Steins. Der runde Calcitkristall wird sichtbar, wenn man den Stein zerschlägt.

Fossiler Pop: Bemalter Trochitenkalk mit Trochiten auf der einen Seite

und deutlich größeren Spiegelflächen des Calcit-Kristalls auf der anderen Seite. Jede Spiegelfläche kann im Licht hell aufleuchten, im Sonnenlicht sogar blenden. Dafür muss

der Stein bei 16 orangefarben eingekreisten Spiegelflächen in 16 verschiedene Richtun-gen gedreht werden - eine kleine Seelilien-Spiegelei-Spielerei.

Trochiten links als Fossilien auf dem Stein, rechts ein feingeschichteter Calcitkristall im Stein. Beide Formen haben in einer Seelilie ihren Ursprung.

Ein Trochit, links unter der Fotolinse, rechts in einen Kristall verwandelt, unter dem Mikroskop. Auf der Oberfläche des Calcitkristalls brechen hauchdünne Schichtteile immer wieder mit den gleichen Winkeln ab: 75° und 105° in den weggebrochenen Ecken.

Der Calcitkristall wächst ebenplattig und dünn Schicht für Schicht. Einzelne Schichten brechen oft weg, dann erhält der Calcitkristall eine trep-penförmige Oberfläche. Beim Wachsen musste der Calcit die runde Form des Trochiten übernehmen. Er wuchs gezwungenermaßen in die runde Form hinein. Calcitkristalle haben von Natur aus ganz andere Formen. Eine Kristallform ist der Rhomboeder mit den für den Calcitkristall  typischen Winkeln 75° und 105°.

Richtig ins Licht gedreht, leuchtet die Spiegel-fläche des Calcitkristalls hell auf.

Der Trochit hat ein Zentralkanalloch, in dem die Nerven und Versorgungsgefäße der Seelilie verliefen. Manchmal lässt sich ein Blick ins Innere werfen: Das Zentralkanalloch wird zur Röhre und stützenden Säule zwischen Deckel und Boden - hohe Stabilität bei größtmöglicher Material-einsparung!

Die kleinen Wülste, Erhebungen, Noppen, Einker-bungen am Rande des Seelilienglieds greifen beim Wachsen ineinander und geben so wie bei den Bauklötzchen dem Stiel Halt. Der Stiel ist stabil und gleichzeitig flexibel beweglich im unruhigen Wasserstrom.

Als Besonderheit gibt es in den untersten Schichten des Unteren Muschelkalks dann noch die Seelilienbreccie. Hier sind Dolomitsteine mit zertrümmerten Seelilien-Stielgliedern durchsetzt. Auch die Trümmer der Calcit-Einkristalle spiegeln in der Sonne. Im Foto sind es die hellgrauen Flecken und Fleckchen auf dem gelblichen Dolomitstein.

Trochitenkalk, Westtangente, Pforzheim

Dieses Stück Trochitenkalk zeigt deutlich, dass die Trochiten "gesteinsbildend" sein können. Es sind eben sehr viele Seelilien-Stielglieder in die Gesteinsmasse eingebettet. Der gelbliche Belag ist eine dünne Schicht von Tonmergelstein auf dem grauen Kalkstein.

 

Es ist eine Eigenheit des Muschelkalks, dass er fossilreich bis zur Gesteinsbildung sein kann, aber arm an Artenvielfalt ist. Im Muschelkalkmeer lebten nicht allzu viele verschiedene Tierarten, aber einzelne davon kommen fossil massenhaft vor, so auch die Seelilie im Trochitenkalk.

Der Calcitkristall hat vom Trochiten die runde Form und das Zentralkanalloch übernommen. Das Eigene, das er beisteuert, ist die feine Schichtung und die Winkel 75° und 105° eines Rhomboeders an den Kantenecken.