Märchen: Kapitel 124  - Die rebellischen Vier

Es war von Anfang an eine rebellische Vitrine, jedenfalls in Teilen. Diese Vitrine, die gleich um die Ecke beim Museumsshop gelegen war, beherbergte eine ganze Reihe von Salz-Exponaten. Es handelte sich um Salz, wie es die Hammerjäger mit Pfeffer auf dem Tisch kennen.

Zwei Salz-Stufen aus Wunstorf bei Hannover in der Vitrine mit Salz, Steinsalz oder Halit. Die beiden gehören zu den rebellischen Vier. In der linken Salz-Stufe steckt Sweet Halitia, die Wortführerin der rebellischen Vier.

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In der Vitrine waren Salzstufen ausgestellt, die bevorzugt aus dem Raum Hannover kamen. Häufig waren würfelförmige Kristalle zu sehen, typisch für das Mineral Salz oder Steinsalz oder auch mit dem Fremdwort Halit.

 

Das Wort Halit steckt in dem einen oder anderen Ort, der eine Salzlagerstätte hatte oder hat und mit Salz Handel trieb. Man denke da an Schwäbisch Hall, Bad Friedrichshall oder Reichenhall.

Ein Exponat in der Vitrine, das würfelförmige Steinsalz-Kristalle zeigt, kombiniert mit dünnen länglichen Gipskristallen.

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Die beiden Mineralien, Gips und Steinsalz, waren stolz auf ihre Stufe und Kombination und genossen es, wenn die Museumsbesuchenden sie genau anschauten und bewunderten. Insgeheim lehnten sie die ganzen Umtriebe der rebellischen Vier ab. Laut sagten sie aber nichts! Zu sehr fürchteten sie die verbale Keule von Sweet Halitia.

 

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Nicht alle Exponate in der Vitrine zählten zu den Rebellen und Unruhestiftern. Es waren nur vier Salz-Stufen. Sie stammten alle aus Wunstorf bei Hannover. Diese vier, zwei Salzler und zwei Halitinnen, waren der festen Überzeugung, man hätte ihnen Grundrechte weggenommen. Und so kämpften sie Nacht für Nacht mit Demonstrationen und Plakataktionen für ihre vermeintlich gestohlenen Grundrechte.

Es wird Mitternacht. Die tintenblaue Steinsalz-Stufe aus Wunstorf bei Hannover verwandelt sich in Sweet Halitia, die Wortführerin der rebellischen Vier.

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In der tintenblauen Salz-Stufe steckte die Wortführerin der vier Rebellen - die Halitin Sweet Halitia, die süße Salzige, eine attraktive junge Dame mit freundlichem Blick, die aber mit ihrem Redetalent jedem Gegner die Suppe ordentlich versalzen konnte. Die Gegner waren die Mineralien mit einer anderen Meinung und vor allem die Hammerjäger. Die Hammerjäger hatten die vier hier ins Museum gebracht und ihnen Grundrechte weggenommen! Grundrechte, die für sie unveräußerlich waren. Diese Grundrechte wollten sie zurück. Dafür kämpften sie:

Erstens für das Recht, auch tagsüber im Dunkeln stehen zu dürfen. Jedes einzelne Halogenlicht in der Vitrine empfanden sie als eine persönliche Zumutung!

 

Zweitens für das Recht, nicht dauernd geputzt zu werden. Sie wollten einfach nur ungestört verstauben. Alle vier hassten den Staubpinsel.

 

Drittens für das Recht, eine Maske und vielleicht auch eine Mütze zu tragen, um sich vor den aufdringlichen Blicken der Museumsbesucher*innen zu schützen. Wie manche Besucher*innen sie auch anstarrten! Widerlich!

Zwei der rebellischen Vier, eine tintenblaue Halitin und ein gelbbrauner Steinsalzler. Beide Salz-Stufen aus Wunstorf bei Hannover. Würde man die tintenblaue Stufe zu Pulver zerreiben, wäre das Pulver weiß. Das Blaue entsteht durch Lichtbrechung im Kristall.

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Jahrzehntelang kämpften sie, demonstrierten sie, forderten sie, aber nichts geschah. Nicht ein einziger Hammerjäger wurde auf sie aufmerksam. Die Welt der Mineralien und die Welt der Hammerjäger haben eben keine Berührungspunkte. So ist das, nur die rebellischen Salzler und Halitinnen in dieser Vitrine wussten das nicht!

Dieser Steinsalz-Stufe mit den vielen würfelförmigen Kristallen ist das Anliegen der rebellischen Vier egal! Es kümmert sie nicht!

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Und doch hatten sie eines Nachts Erfolg! Der große Tag der Wiederherstellung ihrer Grundrechte kam, begleitet von einem grenzenlosen Glücksgefühl, am 29. Juni 2020. An jenem Tag schloss das Museum für alle Zeiten seine Pforten.

 

Dunkelheit zog in den Vitrinen ein. Die Mineralien durften jetzt in Ruhe verstauben und sich mit oder ohne Maske und Mütze daran erfreuen, dass fürderhin sie niemand sehen kann und will.

Demos, Plakataktionen, Protest - so waren die rebellischen Vier jahrelang in Aktion!

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Jetzt, im August 2020, stehen die vier Rebellen im dunklen Museum und können in Ruhe verstauben. Masken und Mützen sind nicht mehr nötig. Ob sie sich gelegentlich an die Zeit ihrer Demonstrationen erinnern, vielleicht sogar sehnsüchtig erinnern? Oder sind das Verstauben im Dunkeln ohne neugiere Blicke eines Museumsbesuchers das große Glücksgefühl? Welches Glück, Grundrechte zu haben und sie auch leben zu dürfen! Die rebellischen Vier waren hoch zufrieden. Und all die anderen? Waren sie auch hoch erfreut über das geschlossene Museum?

 

Ein Steinsalzstück aus Hannover war da jedenfalls ganz anderer Meinung. Bloß so im Dunkeln rumstehen, erschien ihm auf die Dauer etwas ereignis-arm. Er hatte es immer gern gehabt, wenn die Museumsbesuchenden ihn interessiert anschauten. Schließlich war er mit seinem orangegelben  Aussehen in der Vitrine etwas Besonderes. Laut gesagt hat er nie etwas! Er fürchtete den vernichtenden Redeschwall der tintenblauen Sweet Halitia. Mit ihr wollte er sich nicht anlegen. Er hätte in der Diskussion immer den Kürzeren gezogen! Für ihn war Sweet Halitia nichts anderes als eine Meinungsterroristin!

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Steinsalz aus Hannover, oben noch strahlend sauber, unten frustriert: Kein Licht! Auch tagsüber nur so ein Dämmerlicht im Museum! Eklige graue Staubmütze! Und niemand weit und breit, der mal einen Blick auf ihn würfe!

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Sein Unbehagen wuchs von Nacht zu Nacht. Immer diese Dunkelheit! Und der ganze Staub! Stück für Stück verschwand seine schöne Farbgebung unter einer grauen Staubschicht. Er sehnte sich nach Sauberkeit, Halogenlicht und interessierten Besucherblicken!

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Der augenblickliche Zustand im geschlossenen Museum wird natürlich bald zu Ende gehen. Was wird mit den Salz-Exponaten geschehen? Wir werden berichten!