Märchen im Museum - Kapitel 122 - 123

Das 122. Kapitel: Wenn sie so dünkelhaft daherreden...

 

Bürobarüt erzählt weiter:

 

Ein paar Nächte später traf ich wieder auf meine Cousinen. Die Zwillinge schwebten strahlend auf mich zu. Eigentlich wollte ich schnell weiter. Aber ich hatte keine Chance. Sie redeten auf mich ein, und ich hörte nur mit einem halben Ohr zu. Irgendwie ging es um einen Baryt im Achat-Raum, in irgendeiner Druse aus irgendeinem Steinbruch bei Idar-Oberstein. Der muss wohl die beiden angesprochen haben. Jedenfalls waren sie mal wieder bei ihrem Lieblingsthema. Spati sagte: "Bürü, was bin ich froh, dass wir aus Wieden kommen! Baryt aus Idar-Oberstein - eine Lachnummer! Kein Deut besser als unsere Pforzheimer Wald- und Wiesenverwandtschft." Und Schwera gleich hinterher: "Wir sind halt die Elite unter den Baryten. Uns Wiedenern kann wirklich keiner das Kristallwasser reichen!"

Ich mag die Zwillinge. Aber wenn sie so dünkelhaft daherreden, steigt immer der Ärger in mir hoch. Ich war plötzlich hellwach und beschloss, mal was zu sagen: "Nun haltet mal die Luft an! Euer eingebildetes Wald- und Wiesenver-wandtschaftsgetue geht mir auf die Nerven. Ich sage euch mal was..." Und während ich weiterredete, wurde ihr Zwillingsblick zunehmend kritischer und empörter, dann aber doch etwas nachdenklicher.

Ich sagte: "Wie toll wir Mineralien sind, entscheiden nicht wir. Das entscheiden die, die uns in den Händen halten. Denkt mal an die Kindergartenkinder, die uns besuchen. Sie bekommen beim Besuch immer auch ein Stück Baryt geschenkt, Baryt, den ihr zur Wald- und Wiesenverwandtschaft zählt. Die Kinder freuen sich über das Geschenk und nehmen es mit nach Hause.  Dort wird das Barytstück von den Eltern bewundert. Nicht wir werden bewundert. Nicht wir erfreuen, im Gegenteil, wir sind dann schon längst vergessen. Also Vorsicht mit Wald- und Wiese."

 

Spati protestierte: "Also, Bürobarüt, ich weiß nicht!" Und Schwera murmelte vor sich hin: "Mag sein, aber sind wir nicht viel interessanter?"

"Interessanter?" Ich schaute sie kurz an. "Dazu erzähle ich euch mal was. Vor ein paar Tagen kamen zwei Hammerjäger ins Museum. Sie hatten ganz viel Baryt dabei. Wie ich so rausgehört habe, bereiten sie eine Sonderausstellung zum Thema "Baryt in und um Pforzheim" vor."

 

"Verstehe ich nicht," meinte Schwera, "gibt es uns hier?" Und Spati gleich drauf: "Na, mehr als Wald- und Wiesenverwandtschaft wird´s wohl nicht sein! Und total uninteressant!"

 

"Seht, das ist euer Fehler. Für manche Hammerjäger ist es interessant und spannend, hier in der Gegend nach Baryt zu suchen und sich eine umfassende Sammlung anzulegen. Ja, aus Wald und Wiese! Und vor allem nicht aus einem Bergwerk!""

 

"Und kriegen sie da mehr als zwei, drei Verwandte zusammen?" Spatis Blick blieb skeptisch. "Viel wird´s nicht geben. Wenn ich da an unser Wieden denke...!"

Links Bürobarüts Haarschopf, so wie er als Exponat "Baryt aus Wieden" in der Vitrine steht. Rechts ein Bachgeröll aus Baryt, Unterreichenbach.

 

"Ich sage euch, es gibt hier reichlich Verwandtschaft. Die beiden Hammerjäger hatten eine ganze Menge dabei. Ein großes Baryt-Geröll beispielsweise lag da auf dem Tisch. Größer als mein Haarschopf. Stammte aus einem Bächlein bei Unterreichenbach. Erstaunlich, dass es nicht zerböselt ist, wo wir doch von der weichen Sorte sind."

Links tafelig, flach; rechts blättrig, durch Brauneisenerz gelblich verfärbt; vom Waldboden in der Nähe von Pingen in Neuenbürg-Waldrennach.

 

"Es waren tafelige Baryte dabei, aber auch blättrige, die uns ähneln. Auch Barytstücke, die mit anderen Mineralien vorkommen."

 

Spati verstand sofort: "Ach, wie bei uns in der Vitrine mit Pyrit oder mit Fluorit!"

 

"Ja, meistens allerdings mit Metallen, wie Mangan und Eisen, aber Fluorit ist auch dabei."

Bildwechsel im 5-Sekunden-Takt zu "Baryt mit anderen Mineralien". Mit der Maus übers Bild zeigt die Bildbeschriftung.

"Die Hammerjäger planen ihre Ausstellung "Baryt in und um Pforzheim" auch nach den Erdzeitaltern. In und um Pforzheim prägen vor allem die Gesteine aus dem Erdmittelalter die Landschaft. Genauer gesagt ist es ein Abschnitt im Erdmittelalter, die Trias. Die Trias ist die Dreiheit von Buntsandstein, Muschelkalk und Keupergestein."

 

Spati unterbrach mich: "Ich verstehe kein Wort, aber überall dort gibt es von uns Verwandtschaft?" Und Schwera: "Und da kommt wirklich keiner aus einem Bergwerk? Wie sehen die denn aus? Und wo werden sie gefunden, wenn nicht im Bergwerk?"

 

"Also, ich versuche es mal, sie zu beschreiben." So etwa erklärte ich es den beiden:

Buntsandstein - ein Trias-Stein aus dem Wald, vom Rande eines Waldwegs bei Neuenbürg im Nordschwarzwald:

 

Auf dem rosafarbenen groben Buntsandstein liegt eine dünne Harnischfläche mit weißem Baryt. Der Baryt ist teilweise durch Brauneisenerz rostig-gelb verfärbt. Ein Harnisch ist eine geglättete Fläche mit Rutschstreifen. Bei einer steten Erdbewegung sind zwei Gesteinsschichten aneinander vorbeige-schoben worden. Der weiche Baryt wurde dabei geglättet und mit feinen, parallel verlaufenden Schrammlinien versehen.

Buntsandstein - typisches Handstück von der Käfersteige, Pforzheim, mit weißem Baryt, gelblichem Brauneisenerz und dunklen Mangan- und Glaskopf-Flecken. Die Mineralspuren haben sich auf einem rosafarbenen groben Bunt-sandstein abgesetzt.

Muschelkalk - ein Trias-Stein vom Acker. Solche Ackersteine gibt es häufig im Mittleren Muschelkalk, hier in Pforzheim-Eutingen:

 

Der weiße Baryt durchsetzt einen gelblichen Dolomitstein. Die Fundstücke sind so auffallend schwer, dass kein anderes Mineral in Frage kommt. Häufig ist der Baryt in diesen Steinen rosafarben durch Manganeinlagerungen.

Muschelkalk - grauer Kalkstein mit weißer Barytschicht aus dem Ispringer Eisenbahntunnel, beim Bau 2018.

Keuper - ein Trias-Stein aus einem Weinberg. Der Weinberg liegt an der Enzkreisgrenze auf dem Gausberg in Schützingen:

 

Der Baryt ist in kleinen rosafarbenen Mengen in einem grauen Dolomitstein enthalten. Der Baryt ist immer deutlich blättrig ausgeprägt. Dieser Weinbergstein enthält gar nicht so selten kleine Versteinerungen. Im folgenden Bild ist rosafarbener Baryt in einer Fossil-Druse zu sehen.

Keuper - Die Schale einer 5-mm-Schnecke hat sich aufgelöst. In die Hohlform hinein hat Baryt auskristallisiert.

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"Seht ihr, wenn Hammerjäger so ihre Funde vom heimischen Wald-, Acker- und Weinbergboden zusammentragen und vervollständigen, dann haben sie die gleiche Freude daran, wie einer, der eine sehenswerte Barytstufe aus unserem schönen Wieden besitzt. Deshalb ein Hoch auf Wald und Wiese!"

Ich sah es an ihren Gesichtern. Sie wirkten jetzt entspannt. Meine Cousinen hatten wohl begriffen, was ich ihnen sagen wollte. Und meine Bemerkung "...aus unserem schönen Wieden..." muss sie endgültig versöhnt haben! Sie lächelten mich an.

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Das 123. Kapitel: Die Meißelspäte gucken immer so...

 

Bürobarüt erzählt weiter:

 

Als ich das Lächeln meiner Cousinen sah, grinste ich mir innerlich eins und dachte: "Gut gemacht, mein Lieber! Ich glaube, die beiden haben´s begriffen!" Und laut sagte ich: "Was macht ihr jetzt? Habt ihr was Bestimmtes vor?" Schwera und Spati schüttelten den Kopf. "Dann hätte ich einen Vorschlag. Kommt doch mit rüber zu Clarius. Er würde euch gern mal kennen lernen. Bis zur Meißelspat-Vitrine ist ja nicht weit."

Beim Wort Meißelspat verschwand schlagartig das Lächeln aus den Zwillingsgesichtern. Die Mundwinkel sackten nach unten. Die Blicke verengten sich. Schwera schoss los: "Nein, bitte nicht zu den Meißelspäten! So eine hochnäsige Bande!" Und Spati schob nach: "Wie die immer gucken! Wenn du bei denen vorbeischwebst, wie die einem nachschauen... !"

"Schwera! Spati! Hört auf! Das sind alles nur Vorurteile. Glaubt ihr denn, ich hätte sonst Kontakt zu Clarius? Und Clarius hätte auch nur das geringste Interesse, euch kennen zu lernen? Jetzt kommt doch einfach mal mit!" Schwera und Spati schauten sich an und nickten. So richtig überzeugt waren sie nicht. Schwera: "Na denn, wenn´s dir Freude macht!" Und Schweri: "Aber nur dir zuliebe!" Ich freute mich, als sie mir hinterherschwebten. Freilich, die Mundwinkel hingen immer noch tief...

Im Museum steht eine Vitrine mit Exponaten aus der Grube Clara in Oberwolfach, Schwarzwald. Darunter sind besonders schöne und auffällige Meißelspat-Stufen.

Der keilförmige Meißelspat ist eine Sonderform des Baryts. Ich zähle ihn zu meiner exotischen Verwandtschaft.

Wir schwebten los. Die beiden folgten mir etwas zögernd, aber sie kamen mit. Die Gesichtszüge waren allerdings noch etwas entgleist. Zur Meißelspat-Vitrine war es nicht weit. Die ersten Meißelspat-Stufen wurden auf uns aufmerksam. Sie schauten zu uns herüber. Interessiert und neugierig. Klar, Zwillinge fallen auf.

Und dann hatten wir auch schon Clarius erreicht. Er ist der größte Meißelspat in seiner Stufe. Niemand in der Vitrine schaute uns unfreundlich an. Das hatte natürlich auch mit Clarius zu tun. Clarius ist bei den Meißelspäten sehr beliebt. Er hat so eine gewinnende Art. Und wenn er lacht...

Clarius begrüßte uns mit einem wunderbaren Lächeln. Dem konnten die Zwillinge sich nicht entziehen. Und, siehe da, die anfängliche Befangenheit legte sich schnell. Clarius packte bei den beiden Damen seinen ganzen Charme aus. Es dauerte nicht lange, bis er Schwera und Spati zum Lachen brachte. Er selber lachte am lautesten, und sein Lachen war hoch ansteckend! Ich konnte es kaum glauben, wie schnell sich die Vorurteile meiner Cousinen lachend auflösten.

Als wir uns kurz vor ein Uhr verabschiedeten, sagte Clarius noch: "Wisst ihr eigentlich, dass wir Meißelspäte euch ein bisschen um euren Namen beneiden?" Wir schauten ihn fragend an. Er fuhr fort: "Ihr seid Wiedener Baryte oder Schwerspat aus Wieden. Wir sind immer nur ein Spat, mit einem Meißel davor. Und der erinnert an "Hammer und Meißel" und damit an die Hammerjäger. Wer denkt schon gern an die Hammerjäger! Ihr seid Baryt oder Schwerspat. Ihr habt Glück mit eurem Namen!" Ob er das ernst meinte? Ich grübelte. Dann lachte er los!

Und während Clarius noch lachte, wurde es ein Uhr, und er verwandelte sich zurück in den Meißelspat, den er 23 Stunden am Tag sein musste. Links ist er so zu sehen: als Teil einer Stufe in der Vitrine für die Exponate aus  der Grube Clara in Oberwolfach im Schwarzwald.

Die Stunde nach Mitternacht ist vorbei. Wie all die anderen Mineralien werden auch die Meißelspäte schlagartig müde und schlafen ein. Nichts erinnert links an die Mineralin, die in diesem Meißelspat steckt.