Märchen im Museum: Kapitel 106 - 111 Goldhaar

Das 106. Kapitel: Kiesel und Kiesela

Goldie und Milch nennen sich jetzt Kiesela und Kiesel!

Es ist jetzt schon ein paar Nächte her, aber... Ja, doch! Noch haben sich die Mineralienfreunde nicht so richtig dran gewöhnt, nämlich an die neuen Namen: Kiesel und Kiesela. Für Milch und Goldie Quarz. Vor ein paar Mitternächten rückten die beiden damit heraus. Milch meinte, er sei eigentlich kein Milchquarz. Er sei doch eher ein Kieselstein oder Quarzkiesel. Und dann sagte er einfach: "Also, meine lieben Freunde, ab sofort bin ich der Kiesel für euch, einverstanden?" Alle waren überrascht, aber noch überraschter waren sie, als Goldie sagte: "Wisst ihr was, auch ich möchte meinen Namen ändern. Goldie klingt so angeberisch, so mit dem Gold. Ich habe mir etwas Schlichters ausgesucht. Trotzdem ist mein neuer Name für mich und Kiesel bedeutsam, weil wir so im Namenspartnerlook erscheinen. Kurzum, meine Lieben, nennt mich bitte ab sofort Kiesela!"  Kiesel und Kiesela - die meisten Mineralien fanden´s lustig und passend. Man musste sich nur noch daran gewöhnen!

Das 107. Kapitel: Die neue Vitrine mit künstlichem Tageslicht

Kurz nach der Namensänderung passierte die Sache mit den Haaren. Das war ein Thema! Es ging ganz harmlos los. Kiesel, vor kurzem noch Milch, schlug Bürobarüt vor, in den Rheinland-Pfalz-Raum zu schweben, um die neue Beleuchtung in einer Vitrine zu begutachten. Dort hatten die Hammerjäger alle alten Halogenleuchten gegen neue ausgetauscht. Die neuen Lampen beleuchteten die ausgestellten Mineralstufen so, als würde Tageslicht darauf fallen. Man konnte bei zwei nebeneinander liegenden Vitrinen die unterschiedliche Lichtwirkung vergleichen - gedäpftes, aber warmes Licht gegen ein frisches, helles, aber kühles Tageslicht. Kiesel und Bürobarüt näherten sich den Vitrinen. Undeutlich sahen sie ihre Spiegelbilder im Glas. Dann verglichen sie. Sie waren von der Wirkung überrascht und fanden sie gut. Ausnahmsweise hatten die Hammerjäger mal was Vernüftiges hingekriegt!

Das 108. Kapitel: Glasenia Glatzkopf schwebt vorbei

 

Kiesel und Bürobarüt waren so mitten drin im Begutachten und Vergleichen der beiden Vitrinen, als plötzlich Glasenia Glatzkopf, die Eiserne Lady, unnahbar blau zwischen den beiden hindurchschwebte. Ohne nach rechts oder links zu schauen, sagte sie im Vorbeischweben: "Sagt der Kiesela, ihre Haare werden zu lang, da bricht die Vitrine durch!" Und schon war Glasenia um die Ecke verschwunden.

Kiesel und Bürobarüt schauten sich verdutzt an. Was war das denn? Kiesel schlug vor, das eben Gehörte mit Flusso zu besprechen. Flusso ist ein Flussspat-Erz im Schwarzwaldraum des Museums und ihr gemeinsamer bester Freund. Weil sich die drei so gut verstehen und sehr häufig zusammen sind, hat sie ein Spitzname ereilt. Für die meisten Mineralien im Museum sind sie seit geraumer Zeit die Trias, die Dreiheit, Kiesel, Flusso und Bürobarüt.

Flusso, das Moosgesicht, grinste, als er die beiden sah. Eine Minute später war er über alles informiert. Kiesel fragte sich zum wiederholten Male, was denn die Glatzkopf ihnen sagen wollte. Bürobarüt kriegte Glasenias Blick nicht aus dem Kopf. Ein so sturer, ein so teilnahmsloser Blick war das gewesen. Und Flusso? Er überlegte. Nach einem Weilchen sagte er zögernd: "Also, ich weiß nicht, Kiesel, also mir ist aufgefallen, weißt du, dass deine liebe Goldie, äh, Kiesela, wie soll ich sagen, ihre Haare länger wachsen lässt, oder?" Dazu meinte Kiesel: "Ist das so? Ist mir noch gar nicht aufgefallen!"

Bürobarüt überlegte, ob das mal wieder typisch Ehemann ist.

Flusso überlegte weiter:"Wenn Goldie, äh Kiesela, ihre Haare länger und länger wachsen lässt, dann werden sie nicht nur länger, sondern auch schwerer. Kiesela wird insgesamt schwerer, ja genau, und dann kann das Vitrinenglas unter ihrem Gewicht durchbrechen." Kiesel wehrte ab und sagte:"Das ist doch Unsinn! Wir wiegen doch um Mitternacht alle nichts. Wir schweben, weil wir schwerelos sind wie die Astronauten im Weltall." Aber Flusso gab zu bedenken, dass ja nach 1 Uhr die Haare wieder ihr Gewicht bekämen. Und vielleicht tatsächlich ein Gewicht, bei dem man sich Sorgen machen muss.

 

"Wieso denn das?", fragte Kiesel. In dem Augenblick wurde mir klar, was Flusso meinte. Es ging hier um die Dichte, um die Dichte von Gold. Kiesela hat echt goldene Haare. Das ist auch der Grund, warum sie in der Vitrine stehen darf und der goldlose Kiesel nicht. Gold hat eine außergewöhnlich hohe Dichte. Wenn da die goldenen Haare wachsen! Da kommt nach 1 Uhr ein ordentliches zusätzliches Gewicht zusammen!

Die Zeit verrann. Die Trias überlegte. Die drei machten ihre Witze und lachten über diese oder jene Bemerkung. Schließlich fragte Bürobarüt: "Haben die Hammerjäger noch nicht bemerkt, dass Kieselas Haargold zugenommen hat?" Flusso: "Wahrscheinlich nicht, weil sie eine Vokuhila-Frisur trägt."  "Vokuhila? Was soll das denn sein?", wollte Kiesel wissen. Flusso: "Vorne-kurz-hinten-lang, Vokuhila!". Bürobarüt ergänzte: "Kiesela steht so in der Vitrine, dass man nicht auf ihren Rücken schauen kann. Da sind die Haare lang. Und der Drehteller, auf dem sie steht, ist seit ein paar Tagen kaputt. Seitdem er sich nicht mehr dreht, lässt sie ihre Haare wachsen."

Flusso: "Die Haare wachsen, das Gewicht des Goldes nimmt zu, und schließlich krachte das Vitrinenglas unter ihr durch. Kiesel, du musst unbedingt mit Kiesela reden. Kiesel: "Also, ich weiß nicht..."

Kiesel schwebte los. Es war ihm sichtlich unangenehm, mit Kiesela über ihre Frisur zu reden. Als er sie vor den Amethysten traf, lächelte sie ihm entgegen. Er fing an: "Du, Kiesela, ich muss..." Kiesela lächelte ein bisschen weniger. Sie schaute ihn mit großen Augen aufmerksam an. Denn normalerweise kommt er daher und sagt:" Du, Liebling..." oder "Du, Kiesi!"

Bei "Du, Kiesela!" sind eher Probleme zu erwarten. Kiesel fing nochmal an: "Du, Kiesela, ich muss mit dir reden. Der Flusso, der Bürobarüt und ich haben uns Gedanken gemacht..." Bürobarüt war ihm neugierig und unauffällig gefolgt. Ein paar Schwebsekunden entfernt, hörte er Kiesela spöttisch sagen: "Ah, die Trias hat getagt. Da bin ich mal gespannt!"

Kiesel blieb ruhig und erklärte ihr das Problem der wachsenden Haare. Als er fertig war, sagte Kiesela nur: "Bullshit!" Sie kann ziemlich ordinär werden, wenn sie sich ärgert. Mehr sagte sie nicht. Kiesel sah, dass sie vor Wut kochte. Wie konnte er es wagen, ihre Frisur zu kritisieren! Noch schlimmer aber war diese Glasenia! Was die sich einbildet!

Das 109. Kapitel: Wie man sich wegen einer Frisur in die Haare kriegen kann!

Kiesela zischte los, um Glasenia zur Rede zu stellen. Glasenia Glatzkopf schwebte gerade vor ihrer Vitrine im Schwarzwaldraum umher, als Kiesela ankam. Kiesela fauchte sie sofort an: "He, Glasenia, was fällt dir ein, meine Frisur runterzumachen! Vor Kiesel und vor Bürobarüt! Überhaupt vor der Trias! Hier meint wohl jeder, er darf sich über meine Haare auslassen. Und du, du hast damit angefangen. Was bist du doch ... !" Sie beherrschte sich und schluckte den Rest des Satzes runter.

Glasenia sagte nichts. Sie schaute Kiesela nur etwas verunsichert an. Kiesela redete sich in Rage, und ihre Stimme wurde immer lauter. Einige Mineralien in der Nähe wurden aufmerksam und neugierig. Was war da los? In kurzer Zeit waren Glasenia und Kiesela von einem Dutzend Mineralien umgeben. Schnell wurde jedem klar, dass es um Frisur und Haare ging. Spannend für alle mit Haaren zur mitternächtlichen Stunde! Die Haarlosen sahen interessiert zu, aber sie  verstanden nicht so recht, wie man sich über eine Frisur in die Haare kriegen kann.

Ein haarloser Bergkristall in der Zuschauermenge stellte sich kurz mit Haaren vor und sagte dann: "Ein Bergkristall mit Haaren auf dem Pyramidenhaupt, ist etwas, was dir keiner glaubt!"

Ein Bänderjaspis meinte zu seinem Kahlkopf: "Ein Hund geht vielleicht auf meinem Kopf spazieren, ansonsten wird da nichts passieren!"

Und ein glatter Rosenquarz-Trommelstein dachte und lachte: "Ob ein Friseurbesuch mit Kamm und Schere vielleicht ja doch ´was für mich wäre?"

Ein bebrillter Stinkquarz kurz und trocken: "In meinem Alter noch eine tolle Frisur, das wäre gegen die Natur!"

Ein dunkler Rauchquarz brummelte: "Auch ohne Haupthaar bin ich klug, und mein Bart ist lang genug!"

Ein Achat jammerte: "Ständig muss ich Kugelschreiber kauen, um nicht meine Haarpracht zu versauen!"

Ein langgesichtiger Jaspis dachte: "Bist du haarlos, lebst du gefahrlos!"

Und ein Calcit-Rhomboeder mit roten Stiefeln grinste vor sich hin:            "Kein Härchen auf dem Rhomboeder, auch kein Hut mit einer Feder!"

 

Kurzum, das behaarte und das haarlose Publikum schaute zu und machte sich so seine Gedanken: neidisch, mitleidig, geheimwünschig, gleichgültig, belustigt..., bis Glasenia plötzlich Kieselas Redeschwall unterbrach: "Nun halt mal die Luft an!" Kiesela verstummte und sagte dann nur noch: "Okay, du bist dran!"

Etwas zögerlich und nervös begann Glasenia: "Also, pass auf! Vor ein paar Tagen, ich glaube, es war der Montag, nein, der Dienstag, egal, jedenfalls  blieben zwei Hammerjäger vor meiner Eisen-Mangan-Vitrine stehen. Der eine sagte: "Ja, ja, die Metalle, immer noch heiß begehrt, Eisen, Mangan."  "Und vor allem Gold!", ergänzte der andere und fuhr fort: "Ich kenne einige, die haben sich zu Hause Goldbarren in eine Vitrine gelegt, damit sie ihren Goldschatz tagtäglich bewundern können. Ihr Schatz! Vor kurzem sind doch die Chinesen auf der Rückseite des Mondes gelandet. Was wäre, wenn es dort riesige Mengen an Gold geben würde? Das wäre eine haarige Sache! Die Goldmenge würde wachsen und das Gewicht der vielen neuen Barren würde den Goldhandel gewaltig unter Druck setzen. Da kann dann so mancher seine schöne Vitrine vergessen. Da bricht eine Welt zusammen!"

"Verstehst du, Kisela, eine haarige Sache, ich denke da auch an deine Haare, die Goldmenge wächst, dann der gewaltige Druck durch das Gewicht, und dann kann man die Vitrine vergessen, die bricht zusammen!"

 

Kiesela blieb vor Verblüffung der Mund offen stehen. Wie kann man nur so einfältig sein! Kopfschüttelnd schaute sie Glasenia an und meinte nur: "Ich sag´dir was, Glasenia, du hast da was völlig falsch verstanden. Am besten, du denkst nie wieder über Gold nach. Denk an Eisen, da verstehst du was davon! Und denk nie wieder über meine Haare nach. Die gehen dich eine feuchte Locke an!"

 

Kiesela schwebte kopfschüttelnd davon. Wie kann man das Gehörtes so missverstehen! Glasenia schaute Kiesela verwirrt nach. Wenn die Haare um Mitternacht wuchsen, waren sie dann nicht nach 1 Uhr länger und schwerer? Glasenia grübelte. Na ja, Kiesel, Flusso und Bürobarüt hatten sich das auch so vorgestellt. Aber nur ganz kurz! Eben im Eifer des geistigen Gefechts. Ein bisschen peinlich war es schon. Was für ein Gedanke!

 

Ein ganz junger obergrüner Grünquarz rief Kiesela nach: "He, Goldlöckchen, wann kracht denn nun deine Vitrine zusammen?"

Das 110. Kapitel: Einer weiß Bescheid!

 

"Nein! Die Vitrine kracht nicht zusammen!", rief da ein alter griesgrämiger Rosenquarz dazwischen. "Nein! Das Vitrinenglas bricht nicht durch! Jetzt hört mal gut zu! Wir können uns zur mitternächtlichen Stunde noch so verändern,

aber danach, ab 1 Uhr, ist alles so wie tags zuvor. Für uns bleibt die Veränderung erhalten. Der Museumsbesucher sieht sie nicht. Wir können uns sogar Mitternacht für Mitternacht weiter verändern, aber ab 1 Uhr ist davon nichts zu sehen. Kapiert?" Wer immer den Griesgram hörte und etwas anderes gedacht hatte, verzog sich nun in aller Stille in Richtung eigene Vitrine.

Das 111. Kapitel: Der Mond ist aufgegangen...

 

Während Kiesela zu ihrer Vitrine zurückschwebte, bekam sie noch mit, dass sich die Grünquarze über die beiden Besucher bei Glasenias Eisen-Mangan-Vitrine Gedanken machten und über die Landung der Chinesen auf der Rückseite des Mondes und vielleicht dem vielen Gold auf dem Mond. Über Kieselas Gesicht huschte ein Lächeln, als sie plötzlich die Grünquarze singen hörte. Der Gesang der Grünquarze hatte etwas Befreiendes, Fröhliches. Kieselas Laune besserte sich schlagartig. Wie immer sangen die Grünquarze lauthals im Chor und wie immer war der Liedtext albern. Der Grünquarz Matzke Grünius hatte ihn sich ausgedacht:

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Märchen: Kap. 112 - 113 Goldwaage