Märchen im Museum - Kapitel 97 - 100

Das 97. Kapitel: In der Strich-Arena

 

Milch:    Vor ein paar Mitternächten habe ich dich im Modell gesehen, als...

 

In diesem Augenblick schwebte lautstark eine Kugelschreibergruppe mit Stinkquarzen vorbei.

 

Flusso:  Wie bitte?

Milch:     Im Modell, im Bergwerksmodell. Ich habe dich mit andere Fluoriten  gesehen. Ihr wart ziemlich gut drauf. Ein lustiger bunter Würfelhaufen. Was     habt ihr denn da gemacht? Ihr wart dann plötzlich verschwunden!

Flusso:   Ah ja, einmal im Monat trifft sich die Fluorit-Strich-Gruppe.

Milch:     In der Strich-Arena? Die ist doch da gleich um die Ecke.

Flusso:   Genau, da sind wir zum Stricheziehen. Ist total cool.

Milch:     Ich war da noch nie drin. Was macht ihr da so?

Flusso:   Wir schweben möglichst schnell in Richtung Boden. Dann versuchen wir mit einer unserer Würfelkanten den Boden zu berühren und einen Strich zu ziehen. Der Strich sollte möglichst lang sein, dick sein und gerade sein. Da gibt es immer einen kleinen Wettkampf. Und der macht Spaß. Noch mehr Spaß, seitdem vor kurzem ein neuer grauer Porzellanboden in der Arena verlegt wurde. Da siehst du jetzt jeden Strich millimetergenau.

Milch:    Und wie verschwinden die Striche wieder?

Flusso: Mit unserer nagelneuen fahrbaren Strich-weg-Reinigungsmaschine. Dauert zwei Minuten. Und sie ist absolut bodenschonend.

Milch:    Grüne, violette, gelbe, braune Fluorite...Das gibt ja ein ziemlich buntes Strich-Muster auf dem Boden.

Flusso:  Nein, nein! Nur weiß. Egal, welche Farbe wir als Flussspat haben, unsere Strichfarbe ist immer Weiß. Komm doch mal mit und probier deine Strichfarbe aus.

Milch:   Ich weiß nicht. Bei meinen Rundungen wird´s wohl keinen Strich geben. Auch nicht auf dem schönen neuen Porzellanboden.

Das 98. Kapitel: Neu gestaltet

 

Flusso: Hast du schon die neu gestaltete Vitrine beim Dunkelraum bemerkt?

Milch: Ist mir noch nicht aufgefallen. Neu?

Flusso: Ja, für die Besucher. Es geht um die Härteskala nach Mohs. Wird dort erklärt.

Milch: Das muss ich sehen!

 

Flusso und Milch schwebten zur Vitrine hin. Sie schauten sich alles ganz genau an.

 

Milch: Irgendwie können wir stolz sein, dass der Mohs ausgerechnet uns beide in seine Skala aufgenommen hat. Als Referenzmineralien, du für 4, ich für 7. Soll ich dich mal ein bisschen kratzen?

Flusso: Untersteh dich!

Flusso: Was steht denn eigentlich bei dir und bei mir? Kannst du´s lesen?

Milch las vor:

 

Mit Härte 4 hat Mohs

den Fluorit belegt.

In seinem Amt als Bergmann

hat Mohs viel Neues angeregt.

 

Für Härte 7 wählte Mohs den Quarz.

Geboren wurde Mohs im Harz.

 

Flusso: Na ja, ob das die Museumsbesucher verstehen? Ich habe da meine Zweifel! Auf jeden Fall - ich mag Mohs.

Milch: Meinst du jetzt Mohs oder Moos?

Das 99. Kapitel: Bist du auch opak wie ich?

 

Milch: Mit deinem vielen Moos - bist du auch opak wie ich?

Flusso: Opak! Welch edle Wortwahl! Oopaak!

Milch: Ja, opak! Das Wort habe ich vor kurzem bei den Amethysten aufgeschnappt. Die reden ja so vornehm. Was für ein schönes Wort! Opak!

Flusso: Na ja, opak hin oder her, ich sage lieber "lichtundurchlässig". Es stimmt, mein lieber Milch, du bist lichtundurchlässig. Bei mir ist es anders. Bei mir geht ein bisschen Licht durch. Durchsichtig bin ich nicht, aber doch so irgendwie durchscheinend. Es kommt drauf an, ob ich gerade beim Mooseur war oder nicht.

Milch: Mooseur?

Flusso: Bei meinem Moos-Friseur. Ein Spezialist für Mooseschneiden. Man möchte doch gepflegt aussehen. Du brauchst sicher keinen Spezialisten, wenn ich mir deinen Kopfbewuchs so ansehe...

Links: Flusso steht hinter einem lichtdurchlässigen Fluorit und ist undeutlich zu sehen. Rechts: Flusso war beim Mooseur und ist leicht lichtdurchlässig.

Das 100. Kapitel: Dichte und Gewichte

Ein Stück Baryt (Schwerspat) wird im 100. Kapitel zu Barütta.

Milch: Sind wir eigentlich gleich groß? Ich bin 5 cm groß. Und du?

Flusso: 4,9 cm. Meine exakte maximale Höhe.

Milch: Ach, ich bin etwas größer. Dann wiege ich sicher auch mehr als du.

Flusso: Ich weiß nicht. Da müssten wir auch wissen, wie lang und wie breit wir sind, nicht nur wie hoch oder groß. Bei meinen vielen unterschiedlich langen Mooshaaren, und du mit deinem wohlgerundeten Kopf, das wird nichts. Da lässt sich nichts vergleichen. Allenfalls unsere Dichte...

Milch: Dichte?

Flusso war überrascht. Offensichtlich hatte Milch das Wort "Dichte" noch nie gehört. Es war für Flusso ganz selbstverständlich, dass er seine Dichte kannte - 3,18 - wie es eben für einen Flussspat typisch ist. Beim Quarz ist sie, Flusso dachte kurz nach, so 2 Komma nochwas, jedenfalls weniger. Flusso kam eine Idee:

Hör mal Milch, warst du schon mal im Raum für Dichte und Gewichte, auf der siebten Sohle im Bergwerk?

So tief war Milch seit seiner Ankunft noch nie unten im Modell gewesen. Das klang interessant! Und so verabredeten sich die beiden für die übernächste Mitternacht auf der siebten Sohle.

Die übernächste mitternächtliche Stunde begann. Flusso und Milch schwebten fünf Minuten nach Mitternacht auf der siebten Sohle ein. Und schon waren sie im Raum für Dichte und Gewichte. Milch wunderte sich über das Zeugs, das da überall rumlag. Aber dann sah er Bürobarüt und dann auch noch Vitrine Glas. Nette Gesellschaft. Milch war schlagartig bestens gelaunt. Aber wirklich - was da alles im Raum verstreut war! Verschiedene Waagen, Schnapsgläser, eine Kerze, Knetmasse... Zwischen den ganzen Sachen tauchte plötzlich Barütta auf, die kleine Schwester von Bürobarüt. Milch sah sie zum ersten Mal, hatte aber von ihr gehört. Ein lustiges Ding, "verspielt wie ihr Bruder", sagten die einen, manche nannten sie aber auch ein "verrücktes Huhn", auch "freche Göre" hatte Milch schon gehört.

Barütta war schwer in Aktion, ein Schwerspat eben. Sie schwebte hierhin und dorthin. Dann holte sie plötzlich eine rote Kerze und ein weißes Lineal und baute eine einfache Wippe auf. Da sie selber schwebte und die Dinge auch, war das überhaupt kein Problem, die Wippe aufzubauen. Milch schaute ihr fasziniert zu. Kann eine Wippe überhaupt funktionieren, wenn alles schwebt?

Doch schon legte Barütta einen roten und einen blauen Holzwürfel aufs Lineal. Sie wogen im Augenblick gar nichts, denn sie waren ja schwerelos. Aber sie schienen die gleiche Masse zu haben. Die Mitte des Lineals wurde nach einem Strich auf der Kerze ausbalanciert. Dann murmelte Barütta irgendwas und hatte da auch etwas Weißes in der Hand.

Milch schaute mit großen Augen zu. "Was macht sie denn da?", fragte er Bürobarüt flüsternd.

Bürobarüt erklärte:"Manche Mädchen wiegen ihre Puppen im Arm, meine Schwester wiegt Mineralien. Leicht verrückt, aber vielen macht das Spaß. Das geht natürlich nicht, wenn alles schwebt. Um das Schweben zu beenden, sagt sie einen Spruch, meistens "Schwebkraft ade! Schwerkraft juhe!" und berührt die Dinge mit ihrem weißen Schwerspaten.

Barüttas zauberhafter Schwerspaten, aus rein weißem Baryt, goldpunktverziert, gehobene Preisklasse, opimale Wirkung nur in Verbindung mit einem Reim

Der Schwerspaten macht die Dinge schwer. Zack! Klack! Jede Mineralmasse, jedes Mineral hat plötzlich wieder ein Gewicht. Oder der Holzwürfel."

Der erste, der auf die Wippe wollte, war ein Hämatit mit rotweißen Augen. Barütta legte einen Holzwürfel auf. Mit ihrem Schwerspaten berührte sie die Wippe, den Würfel und den Hämatit und murmelte: "Schweben ade! Scheiden tut weh!" Alles wurde schwer. Alles bekam sein Gewicht. Die Wippe ging sanft rauf und runter. "Genau 16 g", rief Barütta. Der Hämatit war überrascht. Er hatte mehr erwartet. In der Nacht zuvor hatte er nämlich bei einer Geburtstagsparty ziemlich viel Kuchen gegessen. "Super, dann bleib ich bei 3,07 cm3 (Kubikzentimeter)!"

Bürobarüt lachte. Milch schaute ihn fragend an. Bürobarüt sagte: Pass auf, Milch, der Hämatit versucht sein Körpervolumen so bei 3,07 cm3 zu halten. Steigt sein Volumen, das heißt, wenn er zunimmt , dann passen ihm die Schuhe nicht mehr.

Milch: Und wie kommt er auf die 3,07 cm3?

Barüt: Der Holzwürfel hat eine Masse von 16 g, sagt Barütta. Sie hat ihn auf einer Waage gewogen. Außerdem hat er die Maße 3cm hoch, 3cm lang, 3 cm breit = ein Volumen von 27 cm3. Da seine Kanten und Ecken abgerundet sind, etwas weniger. Der Hämatit kennt seine eigene Dichte - 5,2 - und jetzt rechnet er.

Märchenfreies Mineralien-Modul Nr. 19

Milch: Jeder kennt hier wohl seine Dichte. Aber was ist die Dichte genau?

Flusso wollte das erklären, aber Bürobarüt war schneller:

Die Dichte ist das Verhältnis von der Masse eines Körpers zu seinem Volumen. Eine Dichte von 5,2 bedeutet, dass 1 Kubikzentimenter Hämatit eine Masse von 5,2 Gramm besitzt. Die Hämatitmasse und die Würfelmasse sind mit 16 Gramm zufällig gleich.

 

5,2 Gramm entsprechen 1 Kubikzentimeter beim Hämatit

16 Gramm entsprechen dann 16 : 5,2 = 3,07 Kubikzentimeter. Die Schuhe passen noch.

Milch: Verstehe! Zu viel Kuchen, neue Schuhe suchen, weil das Körpervolumen zunimmt. Das geht bei uns immer auf die Füße. Weiß ich aus Erfahrung. Dicke angeschwollene Schlemmerfüße. Bei den Hammerjägern sind es, glaube ich, Bauch und Hüfte, oder? Und die Dichte...

 

Barütta ließ ihn verstummen. Was machte sie denn da plötzlich? Sie hockte auf der einen Seite der Wippe und hatte auf der anderen Seite eine Masse an Würfeln aufgetürmt. Sie tippte sich mit dem Schwerspaten an die Stirn und sagte "Schwerkraft, komm her und mach mich schön schwer!" Kaum gesagt schaukelte Barütta vergnügt gegen das Gewicht von acht, nein, neun 16-g-Würfeln. Barütta brachte 144 g auf die Wippe. Kein Wunder, dass sich das Lineal durchbog. Die kleine Barütta! Klein, aber schwer! Eben ein Schwerspat.

 

Da sah Milch in Bürobarüts Gesicht und wusste, da kommt noch was. Der Bruder kannte seine kleine Schwester! Sie streckte ihm die Zunge raus, und Milch ahnte, was jetzt kommt. Auch Flusso schwante was. Er ging in Deckung. Ihm standen die Haare zu Berge. Barütta tippte sich mit ihrem Schwerspaten an die Stirn und sagte "Ich möchte wieder schweben. Die Würfel dürfen leben!" Und wie die lebten, als Barütta schnell von der Wippe schwebte.

Mit 144 g ist die Würfelmasse die gleiche wie Barüttas Körpermasse. Aber die Würfel haben ein Gewicht. Barütta dagegen schwebt. Sie ist schwerelos, ohne Gewicht, wie ein Astronaut im Weltall.

Nach dem kleinen Spaß mit den Würfeln drängte ein Glaskopf auf die Wippe. Aber Milch wollte endlich alles über seine eigene Dichte wissen. Bürobarüt winkte seiner Schwester. Sie kam, und er stellte ihr Milch vor. Milch äußerte seinen Wunsch.

Barütta war mit einem Male ganz lieb und schwebte mit Milch in den hinteren Teil des Raums. Dort standen auf einem Tisch mehrere Waagen. Milch musste auf eine Gramm-Waage hinunter schweben. Als er die Waage unter sich spürte, berührte Barütta die Waage und Milch mit ihrem Schwerspaten und murmelte: "Wie schwer er ist, weiß Milch nur vage. Genauer macht es diese Waage!" Der rote Zeiger blieb genau auf 93 g stehen. Milchs Kopf-, Schuh- und Bein-Masse betrug 93 Gramm.

Nun galt es, Milchs Kopf-, Schuh- und Bein-Volumen festzustellen. Dafür hatte sich Barütta schon vor geraumer Zeit etwas Verrücktes einfallen lassen. Auf einem Schnapsglas hatte sie die Markierung entdeckt, den Ring in der Glaswand, der mit "2 cl" beschriftet ist. Füllt man ein Schnapsglas bis zum Markierungsring, dann sind genau zwei Zentiliter im Gläschen.

Dann besorgte sich Barütta ein normales Trinkglas. Schwebender Transport, der Schwerspaten, ein Wasseranschluss im Raum - alles kein Problem. Barütta füllte das Schnapsglas bis zum Ring und goss die 2 Zentiliter ins Trinkglas. Als das Wasser still stand, markierte sie mit einem Stift die 2 cl auf der Glaswand. Die nächste Schnapsglasfüllung folgte, wurde mit 4 cl markiert, und so ging es weiter, bis zum oberen Rand hin 26 Zentiliter erreicht waren. Barütta war klar, dass die Markierungen nicht ganz genau stimmten, weil beim Ausschütten immer ein paar Tropfen Wasser im Schnapsglas blieben.

Barütta führte Milch zum Trinkglas mit den Zentiliter-Markierungen. Es war halb voll mit Wasser. Sie sagte zu Milch: Du schwebst jetzt da vorsichtig rein und tauchst im Wasser unter. Du sollst das Wasser nicht trinken, sondern verdrängen. Damit du nicht dauernd gegen den Schwebdrang und den Auftrieb im Wasser kämpfen musst, gibt´s was mit dem Schwerspaten. Nur ein kleiner Stups, damit du nicht unten aufs Glas krachst. Milch hielt die Luft an und versank im Wasser. Barütta notierte sich die Wasserstände links ohne und rechts mit Milch. Milch tauchte prustend und triefend wieder auf. Aber schnell war er wieder trocken.

Nun erklärte Barütta Milch, wie er seine Dichte errechnen kann:

Dein Körpervolumen ist nach deinem Bad

153 cm3-118 cm3=35 cm3.    Das sagt das Wasserglas.

Deine Körpermasse ist 93 g.     Das sagt die Waage.

Deine Dichte ist nun 93:35 =  2,65.

Die Dichte 2,65 haben alle Quarze, ob Bergkristall, Amethyst, Rosenquarz oder du selber als Milchquarz.

Milch: Muss ich mir merken. 2,65 - meine Dichte! Gibt es eigentlich bei der Dichte auch 1,00? 

Barütta: Dichte 1? Gibt es! Aber nicht bei den Mineralien. Ganz reines Wasser hat die Dichte 1. Bei einer bestimmten Temperatur, bei einem bestimmten Luftdruck, an einem bestimmten Ort. Das ist alles ganz genau festgelegt und genormt.

Vor lauter Ausprobieren, Experimentieren und Rechnen hatten sie völlig die Zeit vergessen. Doch das war der Zeit egal. Plötzlich zerrte und zog die geheimnisvolle Kraft an ihnen. Sie mussten zurück in ihre Vitrinen. Auf dem Rückweg verabredeten sich Milch, Flusso und Bürobarüt noch schnell für die Folgenacht am gleichen Ort. Barütta blieb auf der siebten Sohle in einem Versteck, denn auch sie war für eine Vitrine nicht hübsch genug! Bevor es ihn wegzog, sagte Bürobarüt noch zu seiner Schwester, halb spöttisch, halb anerkennend: "Meine kleine Schwester kam mal wieder ganz groß raus!" Sie grinste und streckte ihm die Zunge raus. Liebevoll!